Die da oben behalten

„Donnerkatzen noch mal! Ich glaube, ich habe mich verhört! Du willst doch nicht wirklich noch heute mit irgendwelchen Taugenichtsen die Zeit totschlagen, jetzt, wo dein Vater dich zum Erbsensäen dringend braucht?! Willst du etwa auch auf den Wacholder und aus dem großen Faß saufen? Wer soll denn die Feldarbeit machen, wenn ihr Männer nicht da seid? Wieder mal die Weibsleute allein? Bist du dir darüber klar: Die Rheingauer Bauern, so haben sie heute hier getuschelt, führen Feldschlangen und anderes Geschütz auf den Wacholder beim Kloster Eberbach? Sie richten ein Kriegslager ein! Da willst du hin? Ist es denn nicht genug, wenn ihr alle paar Jahre nach der Ernte zum Streiten ausrücken müsst, wenn es dem Nassauer wieder mal so gefällt?“ Die alte Margret hätte sich noch um Kopf und Kragen gegiftet, wenn sie nicht den Vogt des Grafen auf sich zukommen gesehen hätte, der schon aufgehorcht hatte, als sie von den Nassauern gesprochen hatte. Sie ergriff eine Decke, schüttelte sie heftig aus und zischte Georg zu: „Verdrück dich!“. Margret stand wieder allein beim Wagen, auf dem der Knecht vom Saalhof mit ihr die Ferkel hergebracht hatte, die nun alle verkauft waren. Auch sie selbst hatte Glück gehabt. Sie war allen Speck und Schinken, alle Wurst, Butter, Käse und Eier zu guten Preisen los geworden, und sie hatte sogar noch von dem fahrenden Doktor eine „Latwerge“ für das kranke Bein kaufen können, an dem die Kuh sie getreten hatte.

 

„Wo steckt denn der, den du so gescholten hast?“ fragte nun der Vogt, der misstrauisch geworden war. „Ach, ich glaube, er sucht doch nach einem Ablassverkäufer, auch wenn vorhin der nassauische Hofprediger gar nicht für das Ablasskaufen war“ lenkte Margret schlagfertig ab. „Woher kommst du? Wie heißt du? Wer hat dich zum Markt geschickt?“ Margret tat ganz einfältig: “Margaretha bin ich getauft. Ich bin die Wittib des August Deusinger aus Mulaffe. Geschickt hat mich unser Schultheis. Man muss dann einfach nach Idstein, ob man gut zu Fuß ist oder nicht.“ Und sie humpelte zum Wagen, um sich abzustützen. Zu setzen wagte sie sich in Gegenwart des gräflichen Vogtes nicht. Der aber wollte sich heute leutselig geben und meinte: „Dann setz dich in den Wagen, bis der Kerl kommt, der meint, dass man sich von Sünden frei kaufen kann.“ Der Vogt ging weiter. Die gräfliche Herrschaft duldete die neuen reformatorischen Gedanken. Da war es nicht gut, öffentlich dagegen Stellung zu beziehen.

 

„Das war knapp, Margretgothe! Ich will ja gar nicht auf den Wacholder zu den Rheingauer Aufrührern. Eigentlich wollte ich mich mit ein paar Idsteiner Bauern treffen, die gegen die Obrigkeit wettern. Das darf der Vogt noch nicht wissen. Darum muss ich jetzt wohl oder übel mit dir heimfahren. Ich erzähle dir unterwegs, was hier los ist.“ Georg war aufgetaucht, machte rasch das Pferd los, beide kletterten auf das Sitzbrett des Kastenwagens und ratterten durchs Tor in Richtung Esch. „Die Idsteiner haben erzählt, dass überall im Rheingau die Bauern alte Rechte zurückfordern. Jetzt wollen die Idsteiner auch frei werden. Sogar der Hofprediger hätte von der Freiheit eines Christenmenschen geredet. Und ein paar Neuweilnauer sind gleich bei den Idsteinern geblieben, die wollen von denen lernen.“

 

Die alte Margret war gar nicht froh: „Mein Großvater hat von den alten Freiheiten ganz anders gesprochen. Das hat mit dem Christsein nichts zu tun. Es gab in uralten Zeiten - noch ehe wir nassauisch wurden und noch bevor wir dem Mainzer Erzbischof gehörten - edle Freie und gemeine Freie, und beide hatten sich Treue im Kampf geschworen. Die Edlen hatten immer Streit, die gemeinen Bauern wollten aber nicht jedes Jahr mit ihnen in den Kampf ziehen. Da gaben sie einen Teil ihres Landes her im Tausch gegen Freiheit vom Kampf. Feld um Feld verloren sie so, manche sogar ihre Höfe. So kam zustande, was heute ist. Keiner ist mehr Herr auf dem eigenen Hof. Wenn aber das die Freiheit eines Christenmenschen sein soll, dass die Männer wieder jedes Jahr nach der Ernte in Fehde ziehen müssen, dann danke ich für die Freiheit zum Sterben!“

 

„Und wenn ein Bauer so viele Abgaben hat, dass ihm in schlechten Jahren nichts zum Beißen bleibt, dann danke ich für das Hungerleben. Die Idsteiner suchen jetzt nach Urkunden, in denen ihre alten Rechte stehen. Diese Rechte wollen sie wieder haben. Gibt es denn in unserem Dorf keine alten Pergamente? Du weißt doch so viel. Rede!“

 

„Hör endlich auf mit dem Aufmucken! Lass die Finger von dem alten Kram! Von mir erfährst du nichts mehr, und wenn du deinen Vater fragst, dann gibt der dir sicher eine Ohrfeige.“ Zornig hüllte die alte Margret sich bis Mulaffe in Schweigen. Auch dass der Frühling sich ankündigte, konnte sie nicht umstimmen.

 

Monate gingen ins Land, in denen andere Mauloffer für den Dienstag zur Marktfahrt nach Idstein eingeteilt wurden. Als Georg aus Mulaffe drei Monate nach seiner Unterredung mit der alten Margret zum Markt nach Idstein fuhr, diesmal mit der jungen hübschen Dorothea, war die Lage der Bauern eine völlig andere geworden: Von Schwaben bis an den Main und Rhein waren die Lande verwüstet worden von den Landsknechten der Fürsten, die sich gegen den Bauernaufstand zur Wehr setzten. Zu zahlen brauchten die Oberen nichts, denn die Soldaten plünderten sich ihren Lohn selbst zusammen. Sie gingen dabei nicht zimperlich vor und hatten dazu das Einverständnis der Landesherren. Das Leben der Bauern galt ihnen wenig, ihre geringe Habe erst recht nicht. Die Rheingauer Bauern, erschrocken von den üblen Nachrichten, hatten eine Kehrtwendung vollzogen und waren „zu Kreuze gekrochen“, hatten um Vergebung gebeten, um nur ja nicht gebrandschatzt zu werden. Die Idsteiner waren anfangs froh, dass ihr Aufruhr doch nicht zustande gekommen war. Doch es nützte ihnen nichts. Ebenso erging es den Neuweilnauern, die ein paar Tage lang den Aufstand geprobt hatten. Auch die Leute von Mulaffe, die sich gar nicht getraut hatten, auch nur in Gedanken zu rebellieren, waren, nur weil sie Bauern waren, von der Umkehrung der Situation betroffen: Der Mainzer Erzbischof wie auch die nassauischen Herrscher nutzten die Lage weidlich aus. Sie gestatteten dem Führer der Landsknechte,Georg von Frundsberg, sich die Verschonung der nördlichen Landschaften von der Bevölkerung selbst in bar auszahlen zu lassen. Doch damit nicht genug: Alle neu verhandelten Urkunden, die das uralte Recht hatten wiederherstellen sollen, mussten herausgegeben werden und wurden durchstochen. Damit galten sie als unwirksam. Neue Urkunden wurden aufgesetzt, die nun den Rechtszustand verschärften, der vor der Erhebung gegolten hatte. Es gab weder alte noch neue Freiheiten mehr. Die Bauern mussten alle ihre Waffen abliefern. Sie fühlten sich wehrlos. Neun Rädelsführer wurden hingerichtet, andere des Landes verwiesen. Georg und Dorothea hörten die Berichte von der Niederlage, die bis ins weit entfernte Mauloff gedrungen waren, verzerrt durch einen Bänkelsänger vorgetragen, der von einer stummen Menge umgeben war. Der zeigte auf das Bild betrunkener Bauern, denen die Erzbischöfe von Mainz und Trier und die verschiedenen Grafen von Nassau alte Urkunden durchstachen.

Er sang:

„Bauernstolz und Übermut wohnen unter einem Hut.

Wenn’s wohl ergeht dem Bauernhauf, so bäumt er sich gewaltig auf.

Als ich auf dem Wacholder saß, da tranken wir aus dem großen Faß!

Wie bekam uns das? Wie dem Hund das Gras!

Der Teufel gesegnet uns das.“

„Ach, Dorothee, wir Bauern sind wirklich arme Hunde geworden!“ seufzte Georg.